Juli /

20

/ 2020

article

ADHS und Gehirnstruktur, biologische und soziale Faktoren

ADHS und Gehirnstruktur sowie sozio-ökomonoscher Status der Eltern

Machlin, L., McLaughlin, K. A., & Sheridan, M. A.

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Wird ADHS durch biologische Faktoren oder durch die soziale Umgebung hervorgebracht? Biologie oder Umwelt? Auf diese Frage findet man viele Antworten, oft genug vorschnelle und vereinfachende. Einen erneuten Vorstoß zur Klärung unternimmt eine Studie von Machlin, McLaughlin und Sheridan (2020). Darin wird die kortikale Dichte und das Gehirnvolumen in insgesamt 26 Hirnzentren untersucht sowie deren Zusammenhang mit dem sozialen Status bei 874 Kinder und Jugendlichen (Altersspannen 3-21 Jahre) geprüft.

Die Studie greift auf die Daten der “Pediatric Imaging, Neurocognition and Genetics Study“ zurück. Mittels struktureller Magnetresonanz Bildgebung wurden die kortikale Dichte und das subkortikale Hirnvolumen in 26 Hirnarealen gemessen. Die demographische und sozial-ökonomische Situation der Familie sowie die ADHS-Symptomatik bei dem Kind / Jugendlichen wurden anhand von Elternberichten erfasst.

Zunächst weisen Personen mit ADHS ungünstigere Werte im Geburtsgewicht, der Häufigkeit von elterlicher ADHS und im sozialen Status im Vergleich zur unauffälligen Kontrollgruppe auf. Bei den hirnphysiologischen Kennwerten werden indirekte Pfade zu zwei subkortikalen Hirnarealen registriert, die den sozio-ökonomischen Status der Familie mit der ADHS-Symptomatik verbinden (Regressionsanalysen). Diese Verbindung wird für das linke und rechte Cerebellum sowie den rechten Caudatus nachgewiesen. Das Cerebellum ist für die motorische Koordination zuständig; der rechte Caudatus für Willkürmotorik. In diesen Zentren wird jeweils ein geringeres Hirnvolumen bei den Personen mit ADHS beobachtet.

Biologie oder Soziales? Die Antwort lautet beides und in abgestimmter Reihenfolge. Denn der Entwicklungsweg in die ADHS verbindet den sozialen Status der Familie über das reduzierte Hirnvolumen mit der ADHS Symptomatik. Es wird also ein indirekter Einfluss des familiären Umfeldes festgestellt. Infolgedessen interpretieren die Autoren das reduzierte Hirnvolumen im Cerebellum und Caudatus als Folge der familiären Umwelt. Sie bezeichnen dies als „entwicklungsneurologischen Wirkmechanismus“.

Kommentar:
Sozio-ökonomische und hirnphysiologische Faktoren tragen gleichsam koordiniert zur Entstehung der ADHS bei. Demnach ist der sozial-ökologische Status der Familie indirekt über ein reduziertes Hirnvolumen mit der ADHS-Symptomatik verknüpft. Offen bleibt jedoch welche familiären und sozio-ökonomischen Mechanismen genau beteiligt sind. Aus anderen Studien ist bekannt, dass die elterliche Zuwendung, die familiäre Kommunikation, die mütterliche Feinfühligkeit und die Unterstützung des kindlichen Verhaltens aber auch die Qualität und Art der Ernährung wichtige Teilkomponenten sein könnten.

Machlin, L., McLaughlin, K. A., & Sheridan, M. A. (2020). Brain structure mediates the association between socioeconomic status and attention‐deficit/hyperactivity disorder. Developmental Science, 23(1), e12844.