Juni /

21

/ 2022

article

Hilft inneres Sprechen beim Lernen in der Schule?

Flanagan, R. M., Symonds, J. E., Lauth, G. W.

Dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene in anforderungsreichen Situationen “zu sich sprechen” ist eine bekannte Tatsache. Dieser Vorgang wird mit Begriffen wie Selbstanweisungen, Selbstinstruktionen, Inneres Sprechen, strategisch-reflexives Lernen beschrieben. Bereits in den 1910er Jahren hatten namentlich russische und deutsche Forscher die Selbstanweisungen von Kindern unterschiedlichen Alters aufgezeichnet und deren Stellenwert für das Lösen von Aufgaben untersucht. Nach deren Ergebnissen steht das innere Sprechen in Zusammenhang mit überlegtem und geplantem Lernen; eine Ähnlichkeit zur Selbstreflexion oder Metakognition wird angenommen. All diese Prozesse stellen inneres Verhalten in Form von „mit-sich-selbst-sprechen“ dar. Flanagan und Symonds (2022) haben sich in einer aktuellen Literaturübersicht diesem Thema erneut zugewandt. Sie wollten herausfinden, ob das „innere Sprechen“ das Lernen im Unterricht unterstützt. Hierzu analysierten die Autoren 24 Originalstudien, die inneres Sprechen während des Unterrichtes erfasst hatten. Die Methoden, die dafür herangezogen worden sind, variierten sehr und griffen beispielsweise auf Selbstberichte anhand von Fragebögen, Protokollen, Gedankenlisten, „lautem Denken“ oder event sampling zurück. Gemeinsamer Hintergrund war das Konzept der Metakognition. Im Ergebnis stellt sich heraus, dass die Kinder – natürlich - inneres Sprechen einsetzen, um ihr Engagement beim Lösen von Aufgaben oder ihren Umgang mit anforderungsreichen sozialen Situationen zu lenken. Außerdem werden Anforderungen im Nachhinein reflektiert und geordnet. Damit anerkennen die Autoren inneres Sprechen als wichtiges Instrument für das soziale, emotionale, persönliche und leistungsbezogene Funktionieren der untersuchten Schulkinder an. Das innere Sprechen stimmt nach ihrer Übersicht sehr stark mit der sozialen Kommunikation und dem soziokulturellen Kontext überein. Es hängt aber auch von vielen Umständen ab: der Art der Anforderung, der Befindlichkeit des Schulkindes, dem soziokulturellen Hintergrund, dem Verhältnis zur Lehrperson etc. Dementsprechend gelangt die Studie auch zu eher unbestimmten Ergebnissen, was Nutzen, Einsatz und Bedingungen des inneren Sprechens angeht. Dennoch regen die Autoren an, das „innere Sprechen“ als nützlich anzuerkennen. Man sollte es „bottom up“ aufgreifen und zu einem anerkennenswerten Instrument für den Unterricht verdichten.

Kommentar:

Es ist sicherlich verdienstvoll, wenn sich der Beitrag dem „inneren Sprechen“ zuwendet und den derzeitigen Erkenntnisstand zusammenfasst. Aus der Sichtung der 24 Studien ergibt sich jedoch kein stimmiges Bild. Vielleicht ist es lohnender, experimentell vorzugehen und beispielsweise einzelne Schüler mit „innerem Sprechen auszustatten“ sowie das Ergebnis anhand von realem Unterrichts- und Lernverhalten zu prüfen. Dafür empfiehlt sich ein multipler Einzelversuchsplan über Personen, die teils schon in „innerem Sprechen“ geschult sind, teils noch nicht. In diesem Versuchsdesign wird das innere Sprechen zur unabhängigen Variablen erhoben, Lern- und Unterrichtsverhalten zur abhängigen.

Flanagan, R. M., & Symonds, J. E. (2022). Children's self-talk in naturalistic classroom settings in middle childhood: A systematic literature review. Educational Research Review, 100432.