Dezember /

13

/ 2019

article

Störungen, Gemeinschaftliche und kooperative sowie vorausschauende Lösungen, GKL, mangelndes Können

Lassen sich Störungen verhindern? Wenn ja, wie?

Greene, R., Winkler, J.

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Das Ideal von Gesundheitsversorgung und Therapie besteht darin, künftige Störungen zu vermeiden. Diese Ansicht wird besonders von der kognitiven Verhaltenstherapie vertreten, die den „Störungen nicht hinterherlaufen“, sondern sie verhindern möchte. Mehr nach: an die Stelle von „Störung“ soll förderliches Benehmen treten. Beispielsweise, dass aggressive Jugendliche anderen helfen oder einfühlsam reagieren oder dass aufsässige Schulkinder Vertrauen in die Lehrkraft setzen und ihren Wünschen von sich aus folgen. Es geht also um vorausschauende Lösungen.

Greene und Winkler (2019) haben diese Idee in einem Überblicksartikel aufgegriffen. Sie geben eine praktische Anleitung „zum Verhindern von Störungen“:

  • Gemeinschaftliche und kooperative sowie vorausschauende Lösungen (abgekürzt GKL) eigenen sich besonders für Lebensbereiche, die eine gewisse „Standardisierung“ besitzen und ein Betreuungsverhältnis beinhalten, etwa Familie, Schule, Wohnheime, Reha-Kliniken.
  • Es geht bei GKL um die Anpassung eines Menschen an die Umgebung (etwa Schulklasse, Wohngruppe, Reha-Station).
  • Aggression, Verweigerung, Aktionismus, Alkoholkonsum etc. sollten als „unpassende Verhaltensepisoden“ und nicht als psychische Störungen interpretiert werden.
  • Dementsprechend stellen die ungeeigneten Verhaltensepisoden ein Missverhältnis zwischen den vorherrschenden Erwartungen und dem Leistungsvermögen des betroffenen Menschen dar.
  • Dieses Missverhältnis gilt es aufzuklären: Welche Fähigkeiten fehlen? Welche Umstände tragen dazu bei (etwa Zeitdruck, unklare Erwartungen)?

Wenn man diesen Grundgedanken folgt, landet man dem Versuch, gemeinschaftliche und vorausschauende Lösungen zu finden. Also die „unpassenden Verhaltensepisoden“ möglichst exakt aufzuklären und bessere Lösungen zu verabreden.

Die Autoren führen einzelne Bausteine dafür an:

  • Das abweichende Benehmen als „Fehlen von Fertigkeiten“ interpretieren, nicht als psychische Störung.
  • Das abweichende Verhalten früh ansprechen (z. B. „Ich merke, Du hast Schwierigkeiten mit der Körperhygiene. Was ist los? Wie kann ich Dir helfen?“).
  • Die abweichenden Verhaltensweisen als wiederkehrende Ereignisse erkennen und das Muster sowie die ausschlagenden Bedingungen dafür herausfinden.
  • Gemeinsam mit dem betroffenen Menschen Lösungen suchen und diese realisieren.

In 11 Studien werden diese Vorgehensweisen und seine Wirkung dargestellt. Die Interventionen richten sich an Betreuungspersonen (Eltern, ErzieherInnen, Krankenhauspflegepersonal, Lehrpersonen, Berufsausbilder).

Kommentar:

Der Beitrag interpretiert abweichendes Verhalten als „mangelndes Können“. Es wird vorgeschlagen, dieses mangelnde Können zum Ziel der Intervention zu machen und möglichst gemeinsame sowie vorausschauende Lösungen zu finden. Dadurch kann der Teufelskreis von Abweichung, Sanktionierung und erneuter Abweichung zum Vorteil aller Beteiligten aufgehoben werden.

Greene, R., & Winkler, J. (2019). Collaborative & Proactive Solutions (CPS): A Review of Research Findings in Families, Schools, and Treatment Facilities. Clinical child and family psychology review, 22, 549-561.