Juni /

11

/ 2019

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Schulkinder mit ADHS, Kinder mit expansiven Unterrichtsschwierigkeiten, Unterrichtsauffälligkeiten, Lehrerbelastung, Inventar für Schulsituationen (ISS)

Schulkinder mit ADHS – Was fällt den Lehrkräften besonders auf? Wie sehr fühlen sie sich dadurch belastet?

lauth

Kinder mit ADHS fallen insbesondere in der Schule und im Unterricht auf. Denn gerade dort werden ihnen Leistungen abverlangt, die ihnen schwerfallen: Beispielsweise stillsitzen, Aufträge ausführen, andauernde Aufmerksamkeit, in Kleingruppen arbeiten, einen Test machen. Um die besonders schwierigen Situationen zu erfassen, wurde ein deutschsprachiges Inventar entwickelt und bei 740 Schulkindern bzw. ihren Lehrkräften untersucht; darunter 286 Kinder mit gesicherter ADHS-Diagnose und 212 Kinder mit expansiven Unterrichtsschwierigkeiten. Ihnen standen 242 unauffällige Schulkinder gegenüber. Die Schulkinder waren zwischen 6 bis 12 Jahre alt (Mittelwert = 8,45 Jahre).

Das Inventar für Schulsituationen besteht aus insgesamt 22 Fragen (z. B. bei Stillarbeit, in der Pause, bei einem Klassenausflug, bei Gruppenarbeiten). Die Lehrkräfte sollten bei der Beantwortung jeweils angeben, wie auffällig sich die Schulkinder verhalten und wie belastend das für sie selbst ist. Im Ergebnis lassen sich die Schülerauffälligkeit sowie die damit verbundene Lehrerbelastung anhand von drei Faktoren zusammenfassen:

  • Interaktionelle Anforderungen (z. B. Konflikte mit anderen Kindern; Verhalten in der Pause; Ausflüge; Spielen mit anderen Kindern)
  • Instruktionale Anforderungen (z. B. einen Test schreiben; geistig anspruchsvolle Tätigkeiten; eine vorgegebene Aufgabe erledigen; unter Zeitdruck arbeiten)
  • Individualisierte Anforderungen (z. B. Tätigkeiten, die dem Kind Spaß machen; praktisches Arbeiten; informell-freundschaftliche Gespräche).

Die Interaktionalen Anforderungen erklären den Großteil der Unterrichtsauffälligkeiten (rund 53 %). Die Schulkinder mit gesicherter ADHS und die Gruppe mit expansiven Verhaltensauffälligkeiten unterscheiden sich dabei mit hoher Effektstärke von der Kontrollgruppe (Cohens d=0,88 bis 1,31). In der Risikogruppe der Kinder mit expansiven Schwierigkeiten ist aber die höchste Schülerauffälligkeit und höchste Lehrerbelastung zu verzeichnen. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass sich diese Kinder eher expansiv und normverletzend verhielten. Ferner hängen die Schülerauffälligkeit und die Lehrerbelastung eng zusammen (r=.92); dies gilt auch für die Korrelation der Zahl der ADHS Symptome mit der Lehrerbelastung bzw. Schülerauffälligkeit von r=.76 bzw. r=.81.

Kommentar:
Das vorgelegte Inventar für Schulsituationen (ISS) erfüllt die notwendigen testtheoretischen Kriterien der Trennschärfe und internen Homogenität. Es unterscheidet Schülergruppen mit unterschiedlicher ADHS-Symptomatik. Mithilfe dieses Inventars können die besonders belastenden Schulsituationen bestimmt werden. Eine gezielte Lehrerberatung, ein wirksames Lehrertraining sowie eine vorausschauende Unterrichtsgestaltung sollten anschließend veranlasst werden, um den erkannten Verhaltensschwierigkeiten der Schulkinder zu begegnen.

Lauth-Lebens, M., & Lauth, G. (2019). Erfassung von symptomkritischen und belastenden Schulsituationen bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung: Schülerauffälligkeiten und Lehrerbelastungen. Verhaltenstherapie, 1-10.