September /

15

/ 2021

article

Soziale Einbettung, Einsamkeit und Depression

Engstler, H., & Schmiade, N., Joshanloo, M.

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Depression gilt als Krankheit unserer Zeit. Einige Forscher argumentieren, dass Menschen heute eher auf sich allein gestellt sind und nur wenige soziale Kontakte haben. Dementsprechend finden Lebensereignisse und Misserfolge keine soziale Abpufferung und schlagen sich rasch im persönlichen Erleben nieder. Es ist allerdings unklar, ob soziale Isolierung der Depression vorausgehen und deren Ergebnis sind.

Unter diesem Stichwort untersucht Joshanloo (2021) die Langzeitbeziehung zwischen depressiven Symptomen und Einsamkeit. Er unterscheidet zwischen dem Erleben von Einsamkeit und der tatsächlichen sozialen Situation. Dazu untersuchte er eine repräsentative Gruppe Erwachsener, die jeweils älter als 40 Jahre waren. Erfasst wurden die soziale Situation, Einsamkeit sowie depressive Symptomatik. Es handelt sich um Daten aus dem Deutschen Alters Survey (Engstler & Schmiede, 2013), die zu sechs Zeitpunkten 1996, 2002, 2008, 2011, 2014 und 2017 an einer durchgehenden Kohorte erhoben wurden. Zur statistischen Aufschlüsselung wurden zeitversetzte Vorhersagen berechnet (cross-lagged panel model).

Im Ergebnis hängen depressive Symptome und Einsamkeitserleben sehr eng zusammen. Zudem bedingen sich beide systematisch: Denn depressive Symptome sagen das Einsamkeitserleben langfristig voraus; dieses wirkt wiederum langfristig auf die depressive Symptomatik zurück. Es handelt sich also um einen Zirkel, der einen Vorlauf von 6 Jahren besitzt. Der Autor meint, dass stabile Verhaltensgewohnheiten daran beteiligt sind. Dazu gehört beispielsweise die Neigung zum Rückzug bzw. psychische Beeindruckbarkeit (Neurotizismus); sie bilden die Grundlage für situative Schwankungen im depressiven Erleben und die Verfestigung des depressiven Erlebens. Dementsprechend wird empfohlen, die Personanteile und die langjährigen Wirkungen der sozialen Isolierung in den Blick zu nehmen: Mögliche Therapien sollten darauf ausgerichtet werden.

Kommentar
Der Zusammenhang von sozialen Kontakten und depressiver Symptomatik wird in Zeiten von Corona intensiv erörtert. Die vorliegende Studie zeigt, dass eine wechselseitige Wirkung zwischen der sozialen Einbettung der Person und ihren Verhaltensgewohnheiten besteht. Letzteren wird Vorgängigkeit zugesprochen.

Literatur
Joshanloo, M. (2021). The longitudinal interplay of depressive symptoms and loneliness: causal effects work in both directions and decay to zero before six years. Aging & Mental Health, 1-6.

Engstler, H., & Schmiade, N. (2013). The German Ageing Survey (DEAS)-a longitudinal and time-series study of people in the second half of life. Journal of Contextual Economics: Schmollers Jahrbuch, 133(1), 97–108.