November /

17

/ 2021

article

Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität bei ADHS 16 Jahre nach Behandlung (Mutimodal treatment Study)

Sibley, M. H., Arnold, L. E., Swanson, J. M., Hechtman, L. T., Kennedy, T. M., Owens, E., ... & MTA Cooperative Group.

November Newsletter_Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität bei ADHS 16 Jahre nach Behandlung (Mutimodal treatment Study).pdf

Wie stabil sind die Verhaltenssymptome der ADHS? Schwanken sie auf natürliche Weise? Verschwinden sie nach einer Therapie oder tauchen sie auch danach noch auf?

Diesen Fragen gehen die Autoren im Rahmen der bekannten Multimodal Treatment Study of ADHD (MTA) nach. Sie untersuchen anhand von 558 Teilnehmern der Interventionsstudie, wie sich Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität in den nächsten 16 Jahren entwickeln. Diese Verhaltensweisen gelten als „grundlegende Störungssymptome“ und sind ein wesentliches Kriterium für die Diagnose.

Bei 558 Teilnehmern der Behandlungsstudie wurden diese Symptome zu Beginn der Studie festgehalten und danach 16 Jahre lang in 8 Messungen (alle zwei Jahre) erneut abgefragt. Auskunft wurde gegeben von Eltern, Lehrpersonen und den betroffenen Personen selbst.

Im Ergebnis zeigt sich ein sehr verschiedenartiger Verlauf der Symptome unabhängig von der Behandlung (Vier Behandlungsgruppen: 1.) Medikation allein, 2.) Verhaltenstherapie und Medikation zusammen, 3.) Verhaltenstherapie allein, 4.) Behandlung am Wohnort der Patienten durch eine dortige Praxis/ Einrichtung). Sie schwanken ganz erheblich.

Festgestellt werden:

• Freiheit von den Symptomen zu einem der Messzeitpunkte bei 30%
• Erneute Symptomatik nach kurzen Phasen von Symptomfreiheit bei 60%
• Vollständige, durchgehende Symptomfreiheit am Ende der Studie – also nach 16 Jahren – bei 9,1%
• Stabile, durchgängige Symptomatik bei 10,8%

Die Autoren sprechen zu Recht von einer fluktuierenden Symptomatik. Die Behandlung hat nur ansatzweise Stabilität im Sinne von „Verschwinden“ bewirkt.

Kommentar
Die Studie macht nur dann Sinn, wenn man

  1. Der Meinung ist, dass Angaben, die ohne Bezug zu den Situationen und Lebensumständen abgegeben werden und von Eltern, Lehrpersonen sowie den betroffenen Patienten stammen, Aussagewert besitzen. Man könnte sich auch leicht vorstellen, dass solcher Maße generalisierte Wertungen große Anteile von „weißem Rauschen“ besitzen.
  2. In den so beschriebenen Verhaltensweisen der Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität verlässliche Krankheitssymptome erkennt. Das ist schon deshalb nicht der Fall, weil bei der Diagnosefindung zahlreiche weitere Kriterien herangezogen werden (z. B. Alltagsbeeinträchtigungen der Patienten).

Mit dem hier vorgelegten Ergebnis kann man an diesen Setzungen zweifeln. Denn die Verhaltensweisen von Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität erweisen sich als (stark) schwankend. Was wäre, wenn ihr Schwanken ganz natürlich ist? Dann wären die erfassten Verhaltensweisen wohl nicht als Symptome, sondern als situations- und kontextabhängiges Verhalten zu bezeichnen und dementsprechend durch reale Beobachtungen nicht aber durch allzu leicht erlangbare Wertungen zu erfassen.

Literatur
Sibley, M. H., Arnold, L. E., Swanson, J. M., Hechtman, L. T., Kennedy, T. M., Owens, E., ... & MTA Cooperative Group. (2021). Variable Patterns of Remission From ADHD in the Multimodal Treatment Study of ADHD. American Journal of Psychiatry, appi-ajp.